Die Regierung unter Ministerpräsident Vojislav Kostunica hat Staatspräsident Boris Tadic Neuwahlen für den 11. Mai 2008 vorgeschlagen. Die Hauptprotagonisten der Koalition, Regierungschef Kostunica und Staatspräsident Tadic, sind sich einig, dass sie sich nicht mehr einigen können. Dabei ist diese Koalition schon seit den Präsidentschaftswahlen und der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo (beides im Februar 2008) so gut wie lebensunfähig.
Zur Erinnerung: Ministerpräsident Kostunica verweigerte vor den Präsidentschaftswahlen dem stärkeren Koalitionspartner Tadic seine Unterstützung, weil dieser den Vorschlag abgelehnt hatte, das Regierungsprogramm um den Kosovo-Punkt zu erweitern. Tadic hätte sich verpflichten müssen, alle internationalen Verträge Serbiens von der Kosovo-Haltung des Vertragspartners abhängig zu machen. Klarer gesagt: Die EU hätte das Recht Belgrads auf das Kosovo anerkennen müssen, damit Stabilisierungs- und Assoziationsabkommen (SAA) mit Brüssel unterzeichnet werden konnten. Tadic lehnte diese Erpressung ab und siegte knapp gegen den ersten Mann der Radikalen, Tomislav Nikolic. Doch die Verbindung der Kosovo-Frage und der EU-Zukunft war damit nicht vom Tisch.
Spagat zwischen EU und serbischem Kosovo konnte nicht gelingen
Eine beinahe identische Verbindung zwischen den künftigen vertraglichen Verhältnissen Belgrads und Brüssels und der Nichtanerkennung des Kosovo schuf ein Resolutionsentwurf der Radikalen, der vor kurzem vom Parlament hätte verabschiedet werden sollen. Kostunica befürwortete diese Resolution, Tadics Partei lehnte sie konsterniert ab. Das war das Ende für die Koalition. Das Ganze musste so kommen, es ist nur die Frage, ob der Zeitpunkt für diese Parlamentsneuwahlen eher den EU-Befürwortern oder den EU-Gegnern Vorteile bringt.
Eineinhalb Jahre dauerte die Annährung der klerikal-nationalen Gruppierung um den Ministerpräsidenten Kostunica (Demokratische Partei Serbiens, DSS und Neues Serbien, NS) an die stärkste Partei im Lande – an die oppositionelle ultranationalistische Serbische Radikale Partei (SRS). Kostunicas Gemeinsamkeiten mit seinem Koalitionspartner – mit der Demokratischen Partei (DS) des Präsidenten Boris Tadic – schwanden kontinuierlich.
Kostunicas Priorität bleibt nach wie vor „die Verteidigung des serbischen Kosovo“. Tadic behauptet dasselbe, will aber nichts von einem Zielkonflikt zwischen der EU-Annäherung und der Politik der Nichtanerkennung des Kosovo wissen. Sowohl die EU als auch das serbische Kosovo – dieser Spagat kann nur vorübergehend gelingen. Die kommenden Wahlen sollen mehr Klarheit bringen. Zu den proeuropäischen Kräften zählen neben der Demokratischen Partei die wirtschaftsliberale Expertengruppierung G17 plus, die menschenrechts-betonte Liberal-demokratische Partei (LDP) und einige Minderheitenparteien.
Es besteht die Gefahr eines triumphalen Comebacks der Nationalisten
Tadic schloss eine Zusammenarbeit mit seinem schärfsten Kritiker, dem LDP-Chef Cedomir Jovanovic, bereits dezidiert aus. Diese fünf bis sieben Prozent der LDP-Stimmen werden ihm aber voraussichtlich fehlen - wenn er sich aus der Abhängigkeit von den Kostunica-Stimmen (zwischen sieben und zehn Prozent) befreien will. Nach den Wahlen wird Tadic – falls die LDP wieder die Fünf-Prozent-Hürde schafft – zwischen dem Radikalreformer Cedomir Jovanovic und dem mittlerweile geouteten EU-Skeptiker Vojislav Kostunica entscheiden müssen.
Kostunica hat eine Chance, auch nach den Parlamentswahlen an der Macht zu bleiben: Die Radikalen und die Sozialisten würden wahrscheinlich einen Ministerpräsidenten Kostunica mitwählen, wenn er die harte Haltung gegenüber der EU in der Kosovo-Frage sowie eine weitere Annäherung Serbiens an Russland garantieren würde. Das könnte - zumindest vorübergehend - das triumphale Comeback des Nationalismus bedeuten.
Letztendlich werden die Bürgerinnen und Bürger entscheiden müssen. Die Umfragen offenbaren den massenhaft gelebten Widerspruch: Über zwei Drittel der Befragten sind für eine Mitgliedschaft Serbiens in der EU. Fast genau so viele sind dagegen, wenn der Preis dafür wäre, das Kosovo loszulassen.